Den Rahmen neu denken: Wie das Aufbrechen von Annahmen zu einer transformativen Ausbildung führt

Stell dir einen Künstler vor, der vor einem Gemälde steht, das er gemalt hat, ein Werk, das ihn einst definiert hat. Jahrelang hing das Gemälde voller Stolz, jeder Pinselstrich zeigte seine Vision. Eines Tages sieht der Künstler einen kleinen Riss, der die perfekte und empfindliche Balance der Farben verändert. Anstatt ihn zu ignorieren, nimmt der Künstler das Gemälde mutig Stück für Stück auseinander. Mit jedem Stück findet der Künstler eine Chance, alte Ideen loszulassen und etwas Neues zu schaffen, das eine tiefere, veränderte Perspektive zeigt. Dieser vorsichtige Prozess des Zerlegens und Wiederaufbaus spiegelt die Reise in unserem VR-Rollenspieltraining wider, bei dem das Loslassen lang gehegter Überzeugungen die Tür zu kreativem Wachstum und dauerhafter Veränderung öffnet.

Bei der Gestaltung von maßgeschneiderten Virtual-Reality (VR)-Rollenspielsimulationen für die Berufsausbildung haben wir festgestellt, dass alte Annahmen genauso hartnäckig sein können wie Risse in einem Gemälde. Auf den ersten Blick mögen diese Annahmen fast unsichtbar sein. Aber sobald wir genauer hinsehen, verändert ihre Anwesenheit die Art und Weise, wie Lernende und Ausbilder/innen an die Ausbildungsinhalte herangehen und miteinander interagieren. Nach der Theorie des transformativen Lernens, insbesondere nach der Arbeit von Jack Mezirow, sind viele Annahmen im Hintergrund versteckt und prägen im Stillen, wie wir Lernerfahrungen interpretieren, verstehen und daran wachsen. Wenn wir diese Annahmen nicht untersuchen, können wir nicht in vollem Umfang von der Ausbildung profitieren. Das Ziel ist es, sie aufzudecken und zu hinterfragen – so wie man eine neue Farbschicht unter der Oberfläche entdeckt -, damit wir unsere Sichtweise so umgestalten können, dass sie genauer, umfassender und ermächtigender ist.

Die Rolle der kritischen Reflexion beim transformativen Lernen

Die Theorie des transformativen Lernens unterstreicht die Bedeutung der kritischen Reflexion von Annahmen, um eine tiefgreifende, sinnvolle Veränderung unserer Selbst- und Weltsicht zu fördern. Mezirow erklärt, dass wir im Laufe der Zeit „Sinnperspektiven“ entwickeln – das sind die Rahmen, die uns bei der Interpretation von Erfahrungen leiten. Oft sind wir uns dieser Rahmen nicht einmal bewusst, bis wir eine Situation erleben, die sie in Frage stellt. In der Ausbildung hilft die kritische Reflexion den Lernenden, innezuhalten und sich zu fragen: „Warum mache ich das so?“ und „Gibt es einen anderen Blickwinkel, den es zu erforschen lohnt?“

Mit unseren VR-Simulationen wollen wir einen sicheren Raum schaffen, in dem die Teilnehmer/innen ihre lang gehegten Überzeugungen überdenken können. Ein virtuelles Rollenspiel kann einen Teilnehmer zum Beispiel in ein herausforderndes Führungsszenario versetzen und ihn dazu bringen, zu hinterfragen, ob seine gewohnte Herangehensweise an Konfliktlösungen tatsächlich effektiv ist. Indem sie dieselbe Situation aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, können die Teilnehmenden ihre Weltsicht überdenken und neue Lösungen entdecken – so wie man die Farbschichten eines restaurierten Meisterwerks anpasst.

Die Wahrnehmung von Trainingszielen, -inhalten und -methoden verstehen

Bevor wir mit der Entwicklung einer VR-Simulation für eine Organisation beginnen, macht es sich unser Team zur Aufgabe, herauszufinden, wie Ausbilder/innen und Teilnehmer/innen die Lernziele, Inhalte und Methoden wahrnehmen. Dieser erste Schritt ist sehr wichtig, weil die Menschen nicht immer ihre Überzeugungen artikulieren oder sich ihrer vielleicht nicht einmal bewusst sind. Stellen sich die Teamleiter/innen ein Szenario vor, in dem die Mitarbeiter/innen durch einen offenen Dialog Empathiefähigkeit lernen, während die Lernenden selbst nur eine schnelle Compliance-Übung erwarten? Gehen Ausbilder/innen davon aus, dass theoretisches Wissen der praktischen Anwendung „überlegen“ ist, während die Lernenden persönliche Erfahrungen über alles andere stellen?

Indem wir diese Wahrnehmungen untersuchen, können wir feststellen, ob wirklich alle an einem Strang ziehen oder ob sich versteckte Annahmen einschleichen. Wenn ein Unternehmen z. B. glaubt, dass Empathie-Trainings die Effizienz steigern sollen, die Teilnehmer/innen Empathie aber als reine „Soft Skills“ betrachten, die nichts mit der Produktivität zu tun haben, könnte das Trainingsumfeld nicht stimmig sein. Wenn wir diese Lücken erkennen, können wir die Inhalte neu gestalten oder verfeinern, um sicherzustellen, dass Lernende und Trainer/innen eine einheitliche Vision haben. Es ist, als würden wir sicherstellen, dass jede Farbe in unserem „Gemälde“ die anderen wirklich ergänzt, bevor wir zum nächsten Pinselstrich übergehen.

Gewohnte Denkweisen in Frage stellen

Ein weiterer Aspekt, auf den wir uns konzentrieren, ist das Erkennen gewohnheitsmäßiger Denkweisen, die echtes Lernen blockieren könnten. Manchmal glaubt ein/e Teilnehmer/in, dass „Durchsetzungsvermögen in einem Pflegeberuf unangebracht ist“, was ihn/sie bei der Ausübung der Führungsrolle in einer Simulation einschränken kann. In Wirklichkeit kann Durchsetzungsvermögen Hand in Hand mit Einfühlungsvermögen und aktivem Zuhören gehen. Indem wir die Lernenden dazu auffordern, ihre Annahmen mit neuen Erkenntnissen zu vergleichen, wollen wir die Fehler in früheren Überzeugungen aufzeigen. Unser Ziel ist es nicht, alte Annahmen komplett über Bord zu werfen, sondern den Teilnehmenden zu zeigen, warum sie einen ausgewogeneren Ansatz brauchen.

Den Wert verschiedener Arten von Wissen hinterfragen

Eine Frage, die wir Ausbildern und Lernenden oft stellen, lautet: „Wie bewertest du Wissen?“ Wird Wissen als objektiv und unveränderlich angesehen, oder entwickelt es sich je nach Kontext und den Erfahrungen der Lernenden weiter? In einem Konfliktlösungsszenario zum Beispiel sind theoretische Grundlagen unglaublich hilfreich. Aber das gilt auch für die praktische Arbeit – das Meistern von emotionalen Unterströmungen, das Lesen der Körpersprache und das Schaffen eines Umfelds, in dem sich jeder gehört fühlt. Wenn ein/e Lernende/r annimmt, dass nur „offizielle“ Theorien und Richtlinien wichtig sind, kann es sein, dass er/sie seine/ihre eigenen Erfahrungswerte nicht berücksichtigt. Umgekehrt könnte jemand, der glaubt, Erfahrung sei alles, die Vorteile von strukturiertem Wissen übersehen. Wenn wir diese Perspektiven klären, können wir VR-Rollenspiele entwerfen, die beiden gerecht werden. Die Lernenden werden ermutigt, zu experimentieren und den Wert ihrer eigenen Erfahrungen zu erkennen, während sie gleichzeitig bewährte Prinzipien anwenden.

Annahmen über Autorität und Hierarchie in Frage stellen

In vielen Ausbildungssituationen gibt es die unausgesprochene Annahme, dass der Ausbilder oder die Ausbilderin die letzte Autorität ist. Die Lernenden glauben vielleicht, dass sie den Stil des Ausbilders oder der Ausbilderin „kopieren“ sollten, anstatt ihren eigenen, einzigartigen Ansatz zu entwickeln. Das kann besonders in hierarchischen Organisationen vorkommen, in denen die Rollen streng definiert sind. Bei der Gestaltung unserer VR-Szenarien versuchen wir, den Lernenden die Möglichkeit zu geben, das Gespräch zu führen, kreative Entscheidungen zu treffen und ihre Erkenntnisse zu teilen. Auf diese Weise stellen wir die Annahme in Frage, dass die „Höhergestellten“ über das gesamte Fachwissen verfügen. Stattdessen können die Teilnehmer/innen erkennen, dass ihr eigenes Wissen wertvoll ist und dass beruflicher Erfolg oft aus der Zusammenarbeit und dem gemeinsamen Besitz von Ideen resultiert.

Kulturelle und soziale Annahmen

Berufliche Umgebungen sind vielfältig und bestehen aus Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und ihren eigenen kulturellen Normen. Es kommt häufig vor, dass Menschen ungeprüfte kulturelle Annahmen mit in den Schulungsraum bringen. Was in einer Kultur als „respektvoll“ gilt, kann in einer anderen als Passivität oder Ehrerbietung empfunden werden. Wenn diese kulturellen Werte in einem VR-Trainingsszenario auftauchen – vielleicht in einem zweisprachigen oder multinationalen Kontext – können die Lernenden nachdenkliche Momente erleben. Sie beginnen zu erkennen, dass ihr „Normalzustand“ nicht unbedingt mit dem eines anderen übereinstimmt. Das fördert das Einfühlungsvermögen, die Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft, aus Unterschieden zu lernen.


Lernende befähigen, alternative Ansätze zu erforschen

Demonstration of hand tracking and speech-to-text interaction in a VR app, seamlessly combining voice input and natural hand gestures.
VR Hand Tracking und Speech-to-Text Interaction Demo

Einer der wichtigsten Aspekte von VR-Trainings ist die Möglichkeit, neue Ansätze auszuprobieren, ohne dass dies Konsequenzen für das reale Leben hat. Wenn du zum Beispiel in eine virtuelle Krankenstation eintauchst, kannst du verschiedene Gesprächsstile mit einem „schwierigen Patienten“ ausprobieren oder alternative Wege zum Konfliktmanagement unter Kollegen testen. Diese Erfahrung hilft den Lernenden zu verstehen, dass ihre erste Vermutung nicht immer die einzige und manchmal auch nicht die beste Strategie ist. Die VR-Umgebung wird so zu einem Atelier, in dem du mit verschiedenen „Kunsttechniken“ spielen kannst, indem du neue Perspektiven aufbaust und falsche Überzeugungen wegwischst, bis du eine Version findest, die der realen Situation entspricht.

Versteckte Annahmen aufspüren

Woher wissen wir also, ob jemand mit einer ungeprüften Annahme arbeitet? Wir achten auf mehrere Indikatoren:

  • Widerstand gegen Veränderungen oder neue Ideen: Wenn ein/e Teilnehmer/in Diskussionen über neue Verfahren oder Rahmenbedingungen schnell abblockt, könnte das ein Zeichen für eine tiefere, ungeprüfte Überzeugung sein, dass „der alte Weg der beste ist“.
  • Emotionales Unbehagen bei bestimmten Themen: Starke emotionale Reaktionen können darauf hindeuten, dass ein Thema eine Grundüberzeugung in Frage stellt.
  • Übergeneralisierungen: Sätze wie „Das machen wir einfach so“ oder „Das funktioniert immer so“ können auf Annahmen hindeuten, die nie hinterfragt wurden.
  • Unhinterfragte „normale“ Praktiken: Alles, was als Standard oder „die Art, wie die Dinge hier gemacht werden“ bezeichnet wird, ist reif für eine Untersuchung, da es auf tief verwurzelten Überzeugungen beruhen kann.

Rekonstruktion von Perspektiven für transformatives Wachstum

Unser Ziel ist es nicht, eine starre Reihe von Annahmen durch eine andere zu ersetzen. Stattdessen laden wir die Lernenden dazu ein, ihre eigenen Perspektiven kritisch zu betrachten und sie durch eine erweiterte Linse zu rekonstruieren. Wenn diese Veränderungen eintreten, verwandelt sich die Berufsausbildung in einen Raum für echtes Wachstum, der sich tiefgreifend darauf auswirken kann, wie der Einzelne sich selbst sieht und seinen Beitrag bei der Arbeit leistet. Um es mit unserer Kunstmetapher auszudrücken: Nachdem du die Risse in deinem alten Gemälde erkannt hast, kannst du die Teile zu etwas viel Bedeutungsvollerem umgestalten. In dieser neuen Komposition wird jeder Pinselstrich mit mehr Bewusstsein, Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit versehen.

Indem wir die oft verborgenen Überzeugungen über Wissen, Hierarchie, kulturelle Normen oder berufliche Praktiken beleuchten, laden wir Ausbilder/innen und Lernende zu einem sinnvollen Dialog ein. Dieser Dialog bereichert nicht nur die Lernerfahrung, sondern befähigt auch den Einzelnen, aktiv an seiner eigenen Entwicklung mitzuwirken. Das Gemälde, das wir gemeinsam erschaffen – unser berufliches „Meisterwerk“ – wird zu einer aussagekräftigen Darstellung der transformativen Reise jedes Einzelnen, auf der Annahmen entlarvt werden und neue Perspektiven aufblühen.

Am Ende kann es sich so anfühlen, als würde man ein wertvolles Gemälde zerbrechen. Das ist nicht immer angenehm und kann Widerstand oder Emotionen hervorrufen. Aber der kreative Prozess, der darauf folgt – das Zusammensetzen dieser Fragmente zu etwas Stärkerem und Relevanterem – bietet reiche Belohnungen. Bei CommuniKit sehen wir diese Art der transformativen Reflexion als Eckpfeiler eines effektiven Rollenspieltrainings. Indem wir die Überzeugungen, die unsere Art zu lernen und zu interagieren prägen, offen hinterfragen, helfen wir Fachkräften, neue, dynamischere Arbeitsweisen zu entwickeln. Und genau darin liegt die wahre Kunst des lebenslangen Lernens: in der Bereitschaft, das Meisterwerk Schicht für Schicht, Annahme für Annahme zu verfeinern, bis die endgültige Vision wirklich widerspiegelt, wer wir sind – und wer wir werden wollen.

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